Johst Richter Rechtsanwälte - Wir vertreten Sie mit Erfahrung und Fachwissen

BFH hält Verlustverrechnungseinschränkung dem Grunde und der Höhe nach für verfassungswidrig

Fachbeitrag im Bank- und Kapitalmarktrecht

Gute Neuigkeiten für private Investoren: BFH hält Verlustverrechnungseinschränkung dem Grunde und der Höhe nach für verfassungswidrig

Private Anleger können grundsätzlich Verluste aus Kapitalanlagen nur mit anderen Einkünften aus Kapitalanlagen verrechnen. Demgemäß können bspw. Verluste aus Aktien nicht mit gewerblichen Einkünften verrechnet werden. 

§ 20 Abs. 6 EStG ordnet eine Schedulenbesteuerung für die Tatbestände an, die gesetzlich zu den Einkünften aus Kaptalvermögen zählen. Darüber hinaus enthält die gesetzliche Bestimmung zusätzliche Beschränkungen für bestimmte Verluste (z. B. aus Aktienveräußerungen, Termingeschäften und Forderungsausfällen), deren Rechtmäßigkeit in Frage steht.

Verlustrechnung wird gemäß § 20 Abs. 6 EStG begrenzt.

Für Aktiengeschäfte sieht § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG eine Verlustverrechnungseinschränkung dem Grunde nach vor. Verluste aus Aktiengeschäften dürfen nur mit Gewinnen aus Aktiengeschäften verrechnet werden. Ein Ausgleich mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen ist ausgeschlossen.

Des Weiteren ist nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG die Verlustverrechnung für Termingeschäfte der Höhe nach nur eingeschränkt möglich. Die gesetzliche Regelung sieht vor, dass Gewinne aus Termingeschäften und Stillhalterprämien sowie aus diesen Geschäften nur bis zu einem Betrag von 20.000 € pro Kalenderjahr steuerlich absetzbar sind. Die sogenannte zeitlich gestreckte Verlustnutzung, die in dieser Regelung vorgesehen ist, erlaubt es nicht, Gewinne aus Termingeschäften, die innerhalb eines Jahres erzielt wurden, mit den Gewinnen des gleichen Jahres vollständig auszugleichen.

BFH hält Verlustverrechnungseinschränkung dem Grunde und der Höhe nach für verfassungswidrig

Mit Urteil vom 17.11.2020, Az. VIII R 11/18, erklärte der BFH die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a.F. (heutiger Satz 4) für verfassungswidrig. Der BFH vertritt die Auffassung, dass Verluste aus Aktien (z. B. aus der Veräußerung von Wirecard-Aktien) auch mit anderen Kapitaleinnahmen (z. B. Dividenden und Zinsen) zu verrechnen sind. Wenn private Anleger auch andere Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielen, dürfte dies dazu führen, dass sie die Verluste regelmäßig „schneller“ steuerlich geltend machen können. 

Des Weiteren äußerte das FG Rheinland-Pfalz (Beschluss v. 5.12.2023, 1 B 1674/23) ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der seit 2021 geltenden Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäftsverluste. Nach Auffassung des BFH (Beschluss vom 07. Juni 2024, VIII B 113/23) hat das FG Rheinland-Pfalz zu Recht die Vollziehung ausgesetzt, weil bei summarischer Prüfung (§ 69 Abs. 3 FGO) ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids bestünden.

Dies wird im Wesentlichen wie folgt begründet:

  • § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist bei gebotener summarischer Prüfung nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Einschränkung, Verluste aus Termingeschäften nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und aus Stillhalterprämien, nicht aber mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen ausgleichen und verrechnen zu können, führt zu einer Ungleichbehandlung.

  • Diese Ungleichbehandlung wird dadurch verschärft, dass Verluste und Gewinne von Termingeschäften im Verlustentstehungsjahr betragsmäßig auf 20.000 EUR eingeschränkt werden, wohingegen bei Aktiengeschäften eine unbegrenzte Verrechnung von Verlusten mit Gewinnen im Verlustentstehungsjahr zugelassen wird (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG). Wirtschaftlich nicht erzielte Gewinne werden hierdurch besteuert.

  • Die doppelte Begrenzung des Verlustausgleichs und der Verlustverrechnung führt zu einer zeitlichen Streckung der Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften. Die Grundkonzeption einer zeitlichen Streckung der Verlustverrechnung ist verfassungsrechtlich nur dann nicht zu beanstanden, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Verlustausgleich in der Totalperiode gänzlich ausgeschlossen ist. Hiervon ist bei § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG aber gerade nicht auszugehen. Denn die Verlustverrechnung wirkt nur bei Erzielung von Gewinnen aus Termingeschäften in Folgejahren; hiervon kann nicht typischerweise ausgegangen werden. Der Effekt wird durch die jährliche Betragsgrenze von 20.000 EUR verschärft. Im Streitfall bräuchte der Antragsteller für die Verrechnung des gesondert festgestellten Verlustes von ca. 207.000 EUR mehr als 10 Jahre, um diese mit positiven Einkünften aus Termingeschäften und Stillhalterprämien zu verrechnen.

  • Eine Schlechterstellung ergibt sich für Verluste aus Termingeschäften auch, weil diese gegenüber anderen Kapitalerträgen nicht bereits im Rahmen des Steuerabzugs ausgeglichen werden.

Auswirkungen auf die Praxis

Der BFH-Beschluss ist in allen noch offenen Fällen bedeutsam. Wird im Rahmen der Veranlagung ein Verlustausgleich bzw. eine Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 Satz 4 oder 5 EStG angewandt, sollte gegen die Bescheide Einspruch eingelegt und ggf. die Aussetzung der Vollziehung beantragt werden. Eine Aussetzung der Vollziehung dürfte das Finanzamt vor dem Hintergrund dieses BFH-Beschlusses gewähren.

Über die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte wird der BFH in einem Hauptsacheverfahren zu entscheiden haben. Das FG Baden-Württemberg hat die gesetzlich normierte Verlustverrechnungsbeschränkung in einem aktuellen Entscheidungsfall als noch verfassungsgemäß angesehen (FG Baden-Württemberg, Urteil v. 29.4.2024, 10 K 1091/23). Gegen dieses Urteil ist ein Revisionsverfahren vor dem BFH rechtsanhängig. Beruft sich der Einspruchsführer auf dieses Musterverfahren, löst dies eine Verfahrensruhe kraft Gesetzes aus.

In dem Hauptsacheverfahren ist zu erwarten, dass die streitige Rechtsfrage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt werden wird. Das BVerfG hat dann neben der Frage der Berücksichtigung von Aktienveräußerungsverlusten (BFH, Vorlagebeschluss v. 17.11.2022, VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562, Az. des BVerfG: 2 BvL 3/21) auch die Verlustverrechnungsbegrenzung bei Verlusten aus Termingeschäften verfassungsrechtlich zu beurteilen.

Jetzt Anfrage stellen

Wir beraten Sie gerne umfassend und persönlich bei Ihrem Anliegen.

Rechtsgebiet

BK4

Gerne für Sie erreichbar

Kontakt

Ihre Kanzlei Johst Richter Rechtsanwälte.

Adresse

Vor dem Lauch 15
70567 Stuttgart

Öffnungszeiten

Mo.-Fr.: 08.30 – 17:00 Uhr

Kontakt

Sie müssen den Inhalt von reCAPTCHA laden, um das Formular abzuschicken. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten mit Drittanbietern ausgetauscht werden.

Mehr Informationen